Kopfzeile
Stefan Bauberger
Zen - Schule des Herzgrundes

Der Sechste Patriarch des Zen.

Aktuell: Im Bayerischen Wald entsteht das Nordwald-Zendo.



Christen üben Zen-Meditation: Einige Bemerkungen zum Verständnis

Der folgende Text ist ein (leicht angepasstes) Manuskript für einen Lexikonartikel, ergänzt durch zusätzliche Bemerkungen.

Im 20. Jahrhundert kam es zu einer religionsgeschichtlich einzigartigen Entwicklung: Für eine bedeutende Anzahl europäischer und nord-amerikanischer Christen ist Zen, also eine buddhistische Form der Meditation, ein zentrales Element ihrer religiösen Praxis geworden. Priester und Ordensleute sind, oft in Klöstern und kirchlichen Bildungshäusern, als Zen-Lehrer tätig und ernennen selbst weitere Zen-Lehrer.

Geschichtlicher Hintergrund

Im 20. Jahrhundert wurde die westliche Kultur und Philosophie zu einer besonderen Herausforderung für Japan. In dieser Auseinandersetzung erschlossen D.T. Suzuki und die Philosophen der Kyoto-Schule die Zen-Tradition in einer neuen Weise, die offen für den interkulturellen und interreligiösen Austausch war. Gleichzeitig wurde Zen im Westen modern, was aber meist auf eine diffuse und selektive Kenntnis und Assimilation beschränkt blieb. In dieser Situation begann ein Dialog zwischen Christentum und Zen-Buddhismus.

Dass Zen zu einer bedeutenden Größe unter Christen wurde, geht vorwiegend auf den Einfluss von P. Hugo M. Enomiya-Lassalle SJ zurück, der 1929 als Missionar nach Japan kam. Er besuchte Zen-Klöster und nahm dort an den Meditationen teil. Auf Reisen im Westen machte er Zen durch Vorträge bekannt. 1967 begann er neben seiner Vortragstätigkeit im Westen auch damit, zur Übung der Zen-Meditation anzuleiten, und stieß damit auf unerwartet großes Interesse. Mit dem Bau eines Meditationszentrums, das an das Franziskanerkloster in Dietfurt angeschlossen ist, wurden Zenübungen ab 1978 zu einer bedeutenden Größe im westlichen Christentum.

Zu diesem Zeitpunkt begannen auch andere christliche Zen-Lehrer, darunter Priester und Ordensleute, Zen zu lehren und eigene Zentren zu errichten. Fast alle wurden, wie Lassalle, vom japanischen Zen-Buddhisten Yamada Koun, einem Mitbegründer der Sanbo-Kyodan-Schule, ausgebildet. Einige haben sich aber inzwischen von dieser Schule getrennt. Die ersten Vertreter dieser Zen-Bewegung unter Christen, die eine bedeutende Lehrtätigkeit entfaltet haben, sind P. Ama Samy SJ, Sr. Annemarie Schlüter-Rodes, P. Willigis Jäger OSB, P. Niklaus Brantschen SJ, P. Johannes Kopp SAC, Gundula Meyer (evangel. Pastorin), Sr. Ludwigis Fabian OSB, Sr. Elaine MacInnes OLM, Ruben Habito, P. Victor Löw OFM, Peter Lengsfeld. Die meisten dieser ersten Lehrer waren in Deutschland tätig, aber auch sonst in Europa, in den USA, in Indien und auf den Philippinen.

Einige Zen-Lehrer lehren auch Kontemplation, wobei sie die wesentlichen Meditationstechniken aus dem Zen übernehmen und diese mit christlichen Formen verbinden. Andere Kontemplationsschulen, die aus einer genuin christlichen Tradition kommen, haben wichtige Elemente aus dem Zen übernommen.

In der Regel hat die Hinwendung zum Zen ihre Ursache in einem allgemeinen Bedürfnis nach Meditation bzw. Kontemplation, oft auch nach Lebenshilfe. Zen wird als passende Antwort auf die Suche nach persönlicher Spiritualität und Mystik und nach einer systematischen Praxis und Anleitung auf dem spirituellen Weg erlebt.

Interreligiöse Frage: Die Zuordnung zum Buddhismus

Die Frage der Zuordnung zum Buddhismus wird von Christen, die Zen praktizieren, sehr unterschiedlich beantwortet.
Ein v.a. in der ersten Phase der Übernahme von Zen durch Christen populärer Ansatz besteht darin, die Techniken des Zen als christliche Gebetsübung zu integrieren. Die Bezeichnung „christliches Zen“ wird oft im engeren Sinn dieser Auffassung verstanden, was ein Problem dieses Begriffs darstellt. Es handelt sich um einen inklusivistischen Ansatz der interreligiösen Praxis. Zunehmend werden aber die Verwurzelung von Zen im Buddhismus und die Bedeutung zen-buddhistischer Rituale und Denkweisen für die Zen-Praxis erkannt, womit diese Auffassung an Boden verliert.

Ein weiterer wichtiger Ansatz, der oft nur implizit vertreten wird, ist ein transreligiöses Verständnis von Zen und mystischer Erfahrung im Allgemeinen. Diese übersteigt gemäß dieser Auffassung alle konkreten Religionen und ist ihr eigentliches Ziel. In der nicht-dualen mystischen Erfahrung verlieren alle Unterschiede der Religionen ihre Bedeutung. Erfahrung wird über die Lehre gestellt. Diese Auffassung knüpft daran an, dass in der Zen-Übung alle historische Begrenztheit von Religion relativiert und überstiegen wird. Sie entspricht der schon seit der Aufklärung populären Empfindung, alle Religionen seien im Grunde dasselbe und aller Streit zwischen den Religionen beruhe nur auf unberechtigten Verabsolutierungen. Bei aller Richtigkeit der Intuitionen, die hinter dieser Auffassung stehen, vermischt sie diese doch mit einem unbefriedigenden Konzept von Religion, religiöser Erfahrung und interreligiösem Dialog. Ein Grundproblem besteht darin, dass diese Position zwar alle Religionen relativiert, dass aber implizit ein neuer Standpunkt über den Religionen eingenommen wird. Vom christlichen Standpunkt her stellt sich die Frage nach der Bedeutung der Einzigartigkeit der Erlösung durch Christus. Vom Standpunkt des Zen ist die Verabsolutierung der Erfahrung und der Nicht-Dualität problematisch, die, richtig verstanden, nur in ihrer Integration in der Dualität verwirklicht wird.

Eine weitere Position geht von der Praxis der interreligiösen Existenz aus. Christen, die Zen üben, leben gemäß dieser Auffassung in und aus zwei verschiedenen religiösen Traditionen, ohne eine dieser Traditionen abzuwerten. Theologisch gründet diese Auffassung darin, dass sich Jesus Christus gegen die Vergötzung religiöser Formen gewandt und über sie das Gebot der Gottes- und Nächstenliebe gestellt hat, das bedeutet, sich selbst zu sterben und im Geist, d.h. in einer radikalen Offenheit für den Anderen, wiedergeboren zu werden. Der interreligiösen Existenz entspricht ein hermeneutischer Ansatz des Verständnisses einer anderen Religion, der keinen übergeordneten Standpunkt einnimmt und jeder Religion Einzigartigkeit zugesteht, ohne Ausschließlichkeit zu behaupten.

Beurteilungen

Im christlichen Bereich reichen die Beurteilungen der Zen-Praxis von Christen von entschiedener Ablehnung über vorsichtige Duldung bis zu entschiedener Förderung. Im Allgemeinen gibt es in der katholischen Kirche eine größere Offenheit als in den protestantischen Kirchen. Kritische Stellungnahmen beziehen sich weniger auf die Zen-Praxis als auf christlich-theologische Aussagen einiger Zen-Lehrer, die im transreligiösen Verständnis (vgl. oben) von Zen ihre Wurzel haben.

Im Zen-Buddhismus wird die Zen-Praxis durch Christen im Allgemeinen akzeptiert oder begrüßt. Die Legitimation der christlichen Zenlehrer wird aber teilweise in Frage gestellt. Yamada Koun hat aufgrund seiner Erfahrung daran festgehalten, dass Christen in den Geist von Zen eindringen können. Die Kritik macht sich aber nicht nur an der Frage nach der Religionszugehörigkeit fest, sondern auch am Anspruch, die Zenlehre sei an die traditionellen Zenklöster gebunden, sowie daran, dass die Zugehörigkeit entweder zur Rinzai- oder Soto-Schule des Zen verlangt wird, was in der Sanbo-Kyodan-Schule nicht gegeben ist.

Perspektiven und Entwicklungen

Nach dem Boom der 80er und 90er Jahre des 20. Jahrhunderts steigt die Zahl der Zenübenden im christlichen Bereich inzwischen nur noch moderat. Die Zahl der Zenlehrer nimmt schnell zu und zunehmend stellt sich die Frage der Kriterien für die Qualifikation dieser Lehrer. Da es, wie es der Tradition des Zen entspricht, keine übergeordnete Institution gibt, ernennt jeder Zenlehrer seine Nachfolger jeweils nach seinen eigenen Kriterien. Die Integration der Zen-Bewegung im Christentum steht insgesamt erst am Anfang und eröffnet die Möglichkeit einer noch nicht absehbaren Transformation des Christentums, in der die mystische Dimension eine bedeutende Rolle spielt.

Ergänzende Bemerkungen:

Interreligiöser Dialog

Wenn Christen Zen üben, dann geschieht ein interreligiöser Dialog, der sozusagen in die Person des/der Einzelnen hinein verlagert wird. Im interreligiösen Dialog gibt es verschiedene Ebenen und Ziele. Oft wird unterschieden zwischen (1) einem Dialog, der zu wechselseitiger Toleranz führen soll, (2) einem Dialog, der dem gegenseitigen Verständnis dient und (3) einem Dialog, der für beide beteiligten Partner eine Veränderung bewirkt. Alle diese Ebenen, und besonders die dritte, spielen eine Rolle, wenn Christen Zen üben. Die Weise, wie jemand sein/ihr Christentum versteht wird sich durch die Übung des Zen und durch die Begegnung mit dem Buddhismus verändern. Ebenso wird auch das Verständnis des Buddhismus vom christlichen Hintergrund des/der Betreffenden beeinflusst werden.

Ein Vergleich: Mehrere Sprachen beherrschen

Ein Vergleich für diese Begegnung von Religionen in einem Menschen, der/die Zen übt, ist das Erlernen einer Fremdsprache. Die gründliche Kenntnis einer anderen Sprache erleichtert das Verständnis der eigenen Sprache und ermöglicht es oft erst, die Eigenarten, die besonderen Qualitäten und die Begrenzungen der eigenen Sprache kennenzulernen. Der Blick vom Anderen auf das Eigene führt zu einem tieferen Verständnis des Eigenen, ohne dass die Sprachen miteinander vermischt werden.

Der Vergleich trifft allerdings nicht ganz, da Religion den Grund des Menschen betrifft, weshalb ein Dialog innerhalb einer Person zwischen Christentum und Buddhismus eine viel radikalere und umwälzendere Herausforderung darstellt, als eine fremde Sprache zu lernen.

Ein Weg, die eigene Religion zu verlieren und neu zu finden

Wer konsequent Zen übt, der/die muss von Grund auf „umgestülpt“ werden, bis ins Innerste erschüttert werden. Dazu gehört auch die Erschütterung der eigenen religiösen Basis. Billiger geht es nicht. Das Hinübergehen in eine andere religiöse Tradition, der Verlust der eigenen Tradition, um sie wieder neu zu entdecken, kann eine Weise sein, diese Erschütterung zu leben. „Das Höchste und das Äußerste, was der Mensch lassen kann, das ist, dass er Gott um Gottes willen lasse,“ so ein Ausspruch von Meister Eckhart. Der Weg des Zen verlangt, alle Vorstellungen von und über Gott aufzugeben, um sich ganz in das unaussprechliche Mysterium hinein fallen zu lassen.


September 2004. Stefan Bauberger.

Impressum und Kontakt:

Stefan Bauberger, Biedersteiner Straße 1, 80802 München. Tel. 0163-1639074. Email: info@herzgrundschule.de.

© Stefan Bauberger.   Letzte Aktualisierung: 19.3.2020.

Datenschutzerklärung: Beim Besuch dieser Internetseite werden keine Daten erhoben.